Nach einer Krebserkrankung empfehlen viele Ärzte, wieder mit Sport zu beginnen. Auch du hast vielleicht gelesen, dass Sport dir helfen kann, wieder fit zu werden. Deine Krebserkrankung hat dich aber aus deinem gewohnten aktiven Leben herausgerissen. Statt zweimal Tennistraining in der Woche kämpfst du mit Erschöpfung, du hast an Gewicht verloren, an Widerstandskraft und am liebsten ruhst du dich auf dem Sofa aus.
Wie genau kannst du dich selbst motivieren, jetzt, nach deiner langen Zeit der Krebskrankheit und -therapie wieder Sport und Bewegung in den Alltag zu integrieren? Ist das denn wirklich so wichtig für deine Gesundheit?
Ich möchte dir auf ein paar dieser Fragen Antworten und neue Anregungen für deine tägliche Bewegung im Alltag mitgeben.
Warum Sport bei einer Krebserkrankung so wichtig ist
Inhaltsverzeichnis
Direkt vorweg: Es stimmt – Sport macht sehr viel aus für deine Gesundheit!
In den letzten Jahren seit 1990 ist in der medizinischen Welt deutlich geworden, dass Sport und körperliche Aktivität für Tumorpatienten aller Art enorm wichtig ist. Mehrere wissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass Sport bei Krebs viele positive psychische Effekte hat, und darüber hinaus auch eine direkte Verbesserung des körperlichen Zustandes bewirkt: Der Körper baut sich wieder auf, der Kreislauf wird gestärkt, Muskeln werden aufgebaut und führen so zu einer besseren Körperzusammensetzung( Balance). Auch das Immunsystem wird gestärkt, und zu guter Letzt haben die Patienten auch ein gesteigertes Selbstwertgefühl und eine erhöhte Lebensqualität.
Ohne die direkten biologischen Mechanismen dahinter zu verstehen, wissen wir also, dass Sport einen direkten Einfluss auf Krebs hat – auf die Entstehung, auf die Prävention, und auf die Heilung von Krebs.
Positiv ist auch, dass die Nebenwirkungen der Therapie und der Medikamente wie zum Beispiel Fatigue, Schlafstörungen und Depressionen durch Sport reduziert werden können.
Das klingt vielversprechend, und auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir im Laufe meiner zehn Jahre nach meiner Stammzelltransplantation in aktiven Zeiten mit Sport und Bewegung besser ging als ohne.
Wie kannst du Sport und Bewegung in deinen Alltag einbauen?
Du fragst dich bestimmt: Wie soll das denn gehen, wie soll ich mit meiner Krebserkrankung, mit all meinen Medikamenten, Arztbesuchen, meinen Therapien jetzt auch noch Sport machen? Gerade auch, wenn du von einer Stammzelltransplantation betroffen bist, wirst du dir in der ersten kritischen Zeit danach nicht vorstellen können, dich wieder so viel und aktiv zu bewegen wie früher. Du erinnerst dich wahrscheinlich an Jogging Runden, Kletterausflüge oder 30 Kilometer Radfahren aus deinem „früheren Leben“ vor deiner Krebsdiagnose. Vielleicht hast du früher lange Wanderurlaube gemacht, oder bist, so wie ich, tagelang an der Nordseeküste auf dem Surfbrett gestanden – Segel raus, Segel rein im Dauerbetrieb – Kräftezehrend! Undenkbar nach einer Krebstherapie!
Dein Mindset ändern: Ich möchte dir mitgeben, dass du jeden Tag Sport machen kannst. In kleinen Schritten. Bewegen tust du dich nämlich jeden Tag, nur große Marathonläufe oder ähnliches macht keinen Sinn.
Relevant für dein Wohlbefinden sind regelmäßige kleine Trainingseinheiten, die du gar nicht merkst.
Die ganz automatisch ablaufen. Und die deinem Körper wieder signalisieren: „Hey, du kannst doch was! Lass deine Muskeln wieder arbeiten!“
Nach einer Krebserkrankung müssen wir leider unseren inneren Schweinehund in den Keller jagen, denn in deinem Leben hat er jetzt keinen Platz mehr. Denn du willst ja gesund werden!
JedenTag ein klein wenig Bewegung tut nicht weh und macht sogar Spaß. Willst du es mal versuchen? Dann legen wir jetzt los. Mit den folgenden zehn Tipps fängst du ganz leicht an. Die Tipps am Ende sind mit etwas mehr Aufwand und Zeit verbunden.
Tipp 1: Telefonieren im Stehen
Wenn ich meine beste Freundin in Bonn anrufe, gehe ich in mein Arbeitszimer und lege mich gemütlich auf das Sofa. Ich habe vielleicht eine Tasse Kaffee dabei oder ein Glas Wein. Auch, wenn das Gespräch nur 15 Minuten dauert, verbringe ich diese Zeit gerne faul im Sitzen oder Liegen.
Die Alternative ist, beim Telefonieren einfach stehen zu bleiben. In der Küche um den Küchenblock herumzulaufen, die Lebensmittel nebenbei in die Speisekammer zu räumen, und dann am Wohnzimmerfenster den Schwalben auf dem Nachbardach zuzuschauen.
Telefonieren im Stehen ist die einfachste Methode, um 15 Minuten Sitzen zu vermeiden. Ohne, dass du es merkst und dass es dich belastet.
Tipp 2: Treppe statt Fahrstuhl
Dieser Ratschlag ist dir bestimmt bekannt. Ich gebe zu, dass es auch mir sehr schwer fällt, die Treppe zu laufen, um meinen Sohn im vierten Stock in seiner Studentenwohnung zu besuchen. Wenn es sich aber nur um ein Stockwerk handelt, lasse ich den Fahrstuhl links liegen – in Zeiten von Corona ist das sowieso die sicherere Alternative.
Tipp 3: Bewegtes Fernsehen
Bist du abends auch so müde, dass du dich am liebsten auf dem Sofa mit Netflix Serien ablenkst? Oder den Tatort Kommissaren beim Ermitteln hilfst?
Auch am Feierabend kannst du eine kleine Bewegungseinheit einführen, ganz bequem neben dem Fernsehen. Nimm dir ein Theraband oder ein kleines Hantelgewicht und mache kleine Übungen mit den Armen. Schon zwei bis dreimal 20 Bewegungen nach vorne und zurück regt deinen Kreislauf an. Oder stelle dir, wie ich es oft tue, das Bügelbrett neben einen Stuhl und bügele die Oberhemden des Hausherrn bei deiner Lieblingsserie weg. Mein Tipp dabei: Nach jedem Hemd einmal aufstehen, strecken und wieder hinsetzen.
Tipp 4: Gymnastik am Morgen
Ich hatte in den letzten zwei Jahren zweimal einen Hexenschuss. Jedes Mal nach einer besonders inaktiven Zeit – das eine Mal nach einem zweiwöchigen Infekt, das andere am 30. Dezember nach ausgiebigen Weihnachtsfeiern mit der Familie. Rückenschmerzen finde ich sehr quälend, sie beeinträchtigen mich den ganzen Tag. Es ist ein Tribut des Älterwerdens und hat nicht unbedingt mit meiner Krebserkrankung zu tun. Aber ich möchte sie auf jeden Fall verhindern. Deshalb mache ich jeden Morgen vor dem Frühstück im Bett Gymnastikübungen speziell für meinen Rücken. Wenn das für dich interessant ist, kann ich dir die Video Tutorials von Liebscher & Bracht empfehlen. Die Übungen sind schnell gelernt, gut zu merken und sehr effektiv.
Tipp 5: Öfter mal spazierengehen – ich leihe dir meinen Hund!
Wir Hundebesitzer haben ja unseren persönlichen Trainer im Haus. Mit fröhlichem Schwanzwedeln, Pfotenstubsen sorgt unser Spaniel Sherlock dafür, dass ich mir dreimal am Tag die Leine schnappe und mit ihm in den Wald gehe.
Ich sage es ganz ehrlich – ich wäre körperlich viel schlechter dran, wenn ich Sherlock nicht hätte. Das regelmäßige Gehen bringt meinen Kreislauf in Schwung und kontrolliert nachgewiesenermaßen meine Herzinsuffizienz. Meine Gelenke, die sehr unter meiner chronischen GvHD leiden, werden täglich bewegt und ich kann die Schmerzen in Knien und Schultern mit fast gar keinen Schmerzmitteln kontrollieren.
Vielleicht gibt es in deiner Nachbarschaft eine Familie mit einem Hund, die sich darüber freut, wenn jemand anderes einmal mit ihm Gassi geht? Falls du in Aachen wohnst, frage ich Sherlock, ob er einmal mit dir gehen möchte!
Tipp 6: Was war das früher schön – Sport in der Familie
Als ich klein war, haben wir nach dem Abendessen mit der Familie im Keller Tischtennis gespielt. Diese Tradition hat unsere Wettbewerbsfähigkeit in der Familie sehr gestärkt und obendrein richtig viel Spaß gemacht.
Diesen Tipp schreibe ich nun nicht nur aus nostalgischen Gründen, sondern weil er sehr einfach ist. Habt ihr nicht auch das eine oder andere Sportgerät im Hause, was man mit der ganzen Familie einmal wieder nutzen kann? Ich denke dabei nicht nur an Tischtennis, sondern auch an Federball im Garten, Boccia oder Wikingerschach. Alles lustige Spiele, die alle mit Bewegung verbunden sind. Und die allen, auch den kleinsten in deiner Familie, riesigen Spaß machen.
Tipp 7: Einkaufen mit der Fahrradtasche anstelle der Klappbox
Wie weit ist der nächste Supermarkt von deinem Zuhause entfernt? Bei mir sind es gerade einmal zwei Kilometer. Als meine Kinder noch zuhause wohnten, hatte ich pro Woche zwei bis drei große Einkäufe zu tätigen und fuhr mit dem Auto. Heute sind mein Mann und ich allein im Haus, und ich habe zwei große Fahrradtaschen am Gepäckträger meines E-Bikes. Die lade ich oft mit meinen Einkäufen voll. Was nicht mehr reinpasst, wandert in den Rucksack auf meinem Rücken. So habe ich mehrmals in der Woche eine kleine Fahrradtour vor mir. Und weil es Spaß macht, an der frischen Luft zu fahren und die Umwelt zu schonen, fahre ich auf dem Rückweg gleich noch beim Schuster, bei der Bank und bei der Reinigung vorbei. Vielleicht wohnst du ja so nahe an diesen Läden, dass du das auch in deinen Alltag einbauen kannst?
Tipp 8: Abtauchen – mal wieder schwimmen gehen
Jetzt kommen wir zu den zeitaufwändigeren sportlichen Aktionen. Schwimmen ist der Sport, der den ganzen Körper trainiert, auf schonende Weise. Ich habe das Glück, eine liebe Freundin zu haben, in deren Garten-Pool ich nach Belieben kommen kann und meine Bahnen ziehen darf. Auch, wenn du vielleicht nicht in dieser glücklichen Situation bist, kannst du dir vielleicht ein Monatsticket deines örtlichen Schwimmbades besorgen. Eine Runde Schwimmen pro Woche kostet nicht viel Zeit, aber es wirkt bei aller Art von Schmerzen Wunder. Probiere es doch in diesem Sommer einmal aus: Einfach mal schwimmen gehen. Und berichte mir gerne, wie es dir gefallen hat und ob du gespürt hast, wie gut es dir getan hat.
Tipp 9: Krankengymnastik
Mein Arzt hat mir gegen meine GvHD Beschwerden oft empfohlen, zur Physiotherapie zu gehen. Wenn ich mich nicht genug bewege, führt die GvHD der Haut zu Sklerosierung und Verhärtung bis hin zu Bewegungseinschränkungen. Alles, was ich in den bisherigen Tipps geschrieben habe, beherzige ich zwar. Aber leider reicht dies nach zehn Jahren GvHD nicht aus. Ich werde immer unbeweglicher.
Nach meiner Knie-Operation im Januar diesen Jahres bekam ich regelmäßig Physiotherapie verschrieben, und ich habe schnell die heilsame Wirkung hiervon gemerkt. Meine Physiotherapeutin hat mir nicht nur mit Massagen und Druckbehandlungen geholfen. Sie gab mir auch jedes Mal gute Anleitungen für Übungen gegen Rückenschmerzen.
Eine gute Physiotherapie ist wirklich gold wert und macht dich beweglich – eine ganz andere Art der Bewegung und physischen Aktivität.
Tipp 10: Eine Sportstunde mit Gleichgesinnten und Betroffenen – Rehasport
Sport in der Gruppe oder im Fitnessstudio muss nicht gleich eine 90-minütige Pilates-Stunde sein. Es muss auch kein Yoga-Kurs sein, zu dem du dich jede Woche an einem Abend müde und erschöpft hinkämpfst.
Ich habe eine Alternative für dich: Es gibt in fast allen Städten spezielle Sportstudios, die Rehasport anbieten. Das ist Sport in kleinen Gruppen in einer Gymnastikhalle, der von medizinisch gebildeten Trainern geleitet wird in der auf körperliche Einschränkungen eingegangen wird. Und: Das Training findet in kurzen Einheiten statt, zum Beispiel über 45 Minuten. Diese Zeit schafft jeder, auch ich zum Beispiel.
Erkundige dich doch in deinem Sportstudio, wie die Bedingungen für die Teilnahme an diesem Rehasport ist. Ich gehe seit März zweimal pro Woche dorthin und bin sehr glücklich, über die körperlichen Fortschritte, die ich dabei mache.
Mein Fazit
Gerade nach einer Krebserkrankung möchten wir ein positives Körpergefühl wiedererlangen. Wir möchten wieder laufen, gehen, springen oder Ballspielen können. Ohne Schmerzen, ohne Übelkeit und ohne Erschöpfung.
Krebs und Sport ist kein Tabu, sondern eine wichtige Kombination!
Je mehr wir uns bewegen und unseren gequälten Körper wieder neu fordern, je schneller und je sicherer werden wir gesund – das zeigen viele Studien. Das habe ich am eigenen Leibe erfahren – seit ich mich wieder mehr bewege, geht es mir besser, physisch und psychisch.
Die Konsequenz von sportlicher Bewegung ist ein positives Gefühl: Du wirst nicht nur stolz auf dich sein, sondern mit jeder Muskelfaser spüren, dass du deinem Körper einen kleinen Schubs in Richtung Gesundwerden und Gesundbleiben gegeben hast. Dieses positive Gefühl ist etwas, woran du dich gewöhnen kannst, und bald schon geht dir der Wunsch nach Bewegung in Fleisch und Blut über – ich spreche aus eigener Erfahrung.
Hast du noch weitere Ideen für Bewegung und Sport in deinem Alltag?
Auch wenn ich keine Tumorerkrankung habe, sondern nur eine schmerzhafte Arthrose im Knie, an der Lendenwirbelsäule mit Einengungen der Nervenaustrittsöffnungen sowie ein neues Hüftgelenk finde ich diesen Artikel sooo ermutigend und motivierend! Es entspricht ebenfalls meiner Erfahrung, dass Bewegung gut tut – wenn sie im rechten Maß und lieber mehrfach mit kleinen Einheiten ausgeübt ist. Vielen Dank!
Liebe Jutta, danke für deinen Kommentar. Ja, das ist oft ein Missverständnis, wenn es um Sport geht – es helfen am besten nicht die großen langen Joggingtouren, sondern lieber kleine, regelmäßige Einheiten! Man muss nur daran denken :-)!
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