Die Stammzelltransplantation ist lediglich eine einfache Infusion, ähnlich wie eine Bluttransfusion: Das ist vielen Patienten heutzutage bewusst, wenn sie sich in die Klinik begeben. Nach der Transplantation beschäftigt die meisten Patienten aber nur eine Frage: Wie lange dauert es, bis meine neuen Stammzellen angewachsen sind?
Auch mir ging es im Jahr 2011 nach meiner Transplantation so, ich war jeden Morgen gespannt auf den Ausdruck meiner Blutwerte, den die Schwester mir ans Bett brachte. Dort fand ich die Zahlen aller Zellen, und ich habe dem entgegengefiebert, dass meine Zellen endlich angewachsen waren.
Leukozyten: 0 pro µl Blut – Dieser Wert hat mich einige Tage lang angeschaut und zum Schaudern gebracht.
Doch dann gab es den Tag, an dem nicht die Schwester, sondern meine Ärztin lächelnd in mein Zimmer kam und mir den Ausdruck persönlich überreichte: 300/µl! Meine Zellen hatten es geschafft!
Was genau passiert da eigentlich? Was heißt es, die Zellen sind „angewachsen“?
In diesem Artikel erkläre ich dir die Hintergründe zu den Spender-Stammzellen, und warum ihre Vermehrung und das Anwachsen einige Tage braucht.
Was sind eigentlich Stammzellen?
Inhaltsverzeichnis
Stammzellen sind Zellen, die in der Lage sind, sich zu einem spezialisierten Zelltyp zu entwickeln. Man spricht davon, sie können sich differenzieren. Sie sind somit die Mutterzellen aller Körperzellen, und somit die Grundlage für die Entwicklung von all unseren verschiedenen Geweben, Organen, Knochen, Nerven und auch Muskeln.
Blutstammzellen sind dementsprechend die Mutterzellen unserer Blutzellen. Der Prozess der Entwicklung unserer Blutstammzellen zu den spezialisierten Blutzellen nennt man übrigens Hämatopoese. Das wichtige daran ist, dass aus jeder Blutstammzelle jede der vielen verschiedenen Blutzellen entstehen kann, sowohl die roten Blutkörperchen (Erythrozyten), als auch die Blutplättchen (Trombozyten) und die weißen, auch Leukozyten genannt. Die weißen Blutkörperchen unterteilen sich in Granulozyten, Monzyten und Lymphozyten. Diese alle haben eine wichtige Funktion für uns: Es sind unsere Immunzellen.
Wo kommen die Blut-Stammzellen her?
Es gibt in unserem Körper einen Ort, wo alle Blutzellen gebildet werden – das Knochenmark. Es befindet sich im Zentrum der meisten großen Knochen, zum Beispiel der Oberschenkelknochen, oder der Beckenknochen und ist somit die Blutfabrik unseres Körpers. Die Blutstammzellen für eine Stammzelltransplantation wurden daher früher alle aus dem Beckenknochen des Spenders gewonnen.
Heute gewinnt man diese Spenderzellen mittels eines anderen Verfahrens, das man Apherese nennt, aus dem peripheren Blut, also aus dem Blutkreislauf des Spenders. Das ist für den Spender wesentlich angenehmer und mit weniger Aufwand verbunden.
Was passiert, bis die Zellen angewachsen sind? Die Phasen der Stammzelltransplantation
Es gibt drei wichtige Phasen bei der Stammzelltransplantation: Die Konditionierung, die Transplantation und die Aplasie-Phase.
Die Transplantation wird durch eine sogenannte Konditionierungstherapie eingeleitet. Unter Konditionierung versteht man die der eigentlichen Stammzelltransplantation vorgeschaltete Behandlung. Das ist eine Chemotherapie oder eine Bestrahlung, die die eigenen Knochenmarkszellen zerstört. Zwei bis drei Wochen danach findet keine eigene Blutbildung im Körper mehr statt. Man sieht das dadurch, dass im Blut die Anzahl aller Blutzellarten sinkt.
Die neuen Stammzellen des Spenders werden mittels Transfusion auf den Patienten übertragen. Bis die Zellen angewachsen sind, befindet sich der Patient in einer sog. Aplasie-Phase, d.h. er besitzt kein Immunsystem, keine Immunzellen und muss isoliert werden.
Mehr über den gesamten Ablauf der Stammzelltransplantation findest du hier.
Wie kommen die Stammzellen, die durch die Transfusion in unseren Blutgefäßen sind, denn eigentlich in unser Knochenmark?
Unser Knochenmark ist ein besonders gut durchblutetes Organ. Die Stammzellen verteilen sich gleichmäßig im Blut und wandern von alleine in die Hohlräume der Knochenmarkes. Dort ist durch die Chemotherapie Lücken entstanden, weil die ursprünglichen, kranken Knochenmarkzellen nicht mehr gebildet wurden.
An dieser Stelle „wachsen die Stammzellen“ an, nämlich in unserem Knochenmark. Sie können sich nach wenigen Tagen durch Zellteilung vermehren und beginnen so mit der Bildung neuer Blutzellen.
Welche Art von Blutzellen sind besonders wichtig für uns nach der Transplantation?
- Rote Blutkörperchen und Thrombozyten kann man auch von außen mittels einer Bluttransfusion zugeben, um lebensbedrohliche Situationen abzuwehren.
- Die Leukozyten aber haben eine ganz wichtige Funktion in unserem Körper, sie stellen unsere Immunabwehr dar, d.h. sie verhindern, dass wir durch jede kleine Bakterie oder virus krank werden. Daher schauen unsere Ärzte nach der Transplantation besonders auf die Zahl der Leukozyten – in dem Moment, wo die Zellenzahl hochgeschnellt ist, sind die angewachsenen Stammzellen in der Lage gewesen, sich zu differenzieren.
Wie lange dauert es jetzt wirklich, bis die Stammzellen angewachsen sind?
Jetzt verstehen wir auch, warum es eine Weile dauert, bis wir durch die Blutwerte ein Zeichen unseres Körpers haben, dass die Stammzellen angewachsen sind :
Die Spender-Stammzellen müssen erst durch das Blut in das Knochenmark gelangen, um dort Fuß zu fassen!
Die Ärzte erwarten innerhalb von 10 bis 20 Tagen, dass die Stammzellen angewachsen sind.
Dabei spielt interessanterweise der Spender eine Rolle.
- Wenn der Knochenmarkspender in den wichtigen Blutmerkmalen/Typisierungsfaktoren zu hundert Prozent passt (man spricht von 10/10 Faktoren passen), so dauert es 10 bis 14 Tage.
- Passen die Typisierungsmerkmale des Spenders nur zu 90 % (9/10 Merkmalen), so dauert es länger, meistens 14 bis 21 Tage.
Mittlerweile werden häufig auch Transplantation mit nur teilweise passenden Familienspendern durchgeführt. Das gelingt auch in der Regel, aber das Anwachsen dauert dann noch ein wenig länger.
Bei Spendern, die zu 100 % zu dem Patienten passen, wachsen die Stammzellen innerhalb von 10 bis 14 Tagen an. Bei 90 % dauert es bis zu 21 Tage.
Was kommt danach?
Es geht bergauf!
Wenn die transplantierten Blutstammzellen mit der Bildung neuer Blutzellen beginnen, steigt auch deren Anzahl im Blut wieder. Die Zahl der Granulozyten (einer Untergruppe der Leukozyten) ist für deine Ärzte besonders entscheidend. Sobald sie wieder ausreichend in deinem Blut nachweisbar sind und über 500/µl gestiegen ist, ist das Immunsystem ganz langsam wieder aktiv. Dies ist etwa 4 Wochen nach der Transplantation der Fall.
Dir als Patient wird es danach Schritt für Schritt besser gehen: Die neuen Blutzellen bewirken einiges: Die Infektionsgefahr sinkt, und die Isolation kann aufgehoben werden. Die Schleimhäute, durch die Chemotherapie angegriffen, erholen sich wieder, so dass du das Essen wieder genießen kannst.
Nach 4 Wochen nach der Transplantation wird in der Regel eine Knochenmarkpunktion durchgeführt, um die genauen Zellzahlen und Daten zu bestimmen.
Ich finde, es ist ein Wunder, was die Medizin für eine Therapie entwickelt hat. Die erkrankten Knochenmarkzellen eines Leukämiepatienten werden durch gesunde Blutstammzellen eines Spenders ersetzt – damit wird das gesamte Immunsystem ausgetauscht.
Diese Therapie gibt den Patienten Hoffnung auf Heilung bei solchen gefährlichen Krankheiten wie Leukämie, myelodysplastischesm Syndrom, angeborenen Anämien oder bei Lymphomen.
Hast du noch weitere Fragen zu den Stammzellen?
Wenn du selbst betroffen bist, wie lange hat es bei dir gedauert, bis deine Zellen im Blutbild sichtbar waren?
Ich freue mich über deine Kommentare und Erfahrungen!
Liebe Annette!
23 Monate nach meiner Transplantation habe ich gerade mit grossem Interesse Deinen Artikel „Wie schnell wachsen Stammzellen an“ gelesen. Es ist wirklich ein medizinisches und faszinierendes Wunder, was da in unserem Körper passiert. Es sollte „Pflicht-Lektüre“ für alle werdenden Empfänger/-innen (und auch für alle potentiellen Spender/-innen sein.
Liebe Grüsse aus der Nicht-Karnevals-Hochburg Zürich, Urs.
Lieber Urs, vielen Dank für deinen Kommentar. Ich habe selbst beim Schreiben und Recherchieren festgestellt, was für ein Wunderwerk die Ärzte da mit dieser Therapie in uns Patienten bewerkstelligen. Danke für deine Wertschätzung!
Ich habe ja auch nicht Karneval gefeiert :-) Herzliche Grüße
Annette
Hallo Annette, danke für die tolle Unterstützung durch deine Beiträge.
Meine Frau erkrankte im Oktober 2022 an AML und hatte am 14.12.22 ihre Stammzellentransplantation. Die Stammzellen sind wohl angewachsen, erzielen aber nicht die erhofften Werte. Im April 2023 wurde versucht, durch Spritzen die Produktion der Stammzellen anzuregen- was auch gelang. Leider hielt dieser Wert lediglich 2 Wochen an, so dass wir derzeit wieder auf rapide sinkende Werte schauen. Der nächste Versuch soll ein Stammzellenbooster sein, bei dem nochmals Stammzellen nachgegeben werden sollen. Der erste Spender wurde nochmals zur Spende angefragt. Wir hoffen, dass wir damit Erfolg haben werden.
Gruß Uwe
Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Stammzellen. Gut zu wissen, dass man die Stammzellen relativ schnell nachwachsen lassen kann. Ich werde auch eine Stammzellentherapie machen lassen.
Pingback: Die kritische Zeit nach einer Knochenmarktransplantation - was musst du beachten?