Cortison absetzen

Cortison absetzen – von 50 mg auf Null in neun Jahren

Vorgestern war ein besonderer Tag. Nein, nicht weil Rosenmontag war. Und ich meine auch nicht den Valentinstag davor. (Es gab Blumen, ja, die waren wunderschön…)

Nein, das meine ich nicht. Ich habe mein Cortison abgesetzt. Nach neun Jahren.

Cortison, Handelsname Prednisolon
Dies war meine letzte Packung Prednisolon

Ich habe vorgestern meine tägliche Cortison-Tablette nicht eingenommen. Ich habe den Blister einfach wieder in meine Medikamententasche geschoben, und weiter an meinem Kaffee geschlürft. Ohne Tablette.

Warum ist das so besonders?

Seit wann nehme ich Cortison?

Ich bin seit der Entlassung im September 2011 nach meiner Knochenmarktransplantation immunsupprimiert. Durch die GvHD (Graft-versus-Host-Disease, Abstoßungsreaktion zwischen den Zellen) die sich schon in den ersten Wochen ausgebildet hat und chronisch geworden ist, ist es erforderlich, mein Immunsystem unter Kontrolle zu halten.

Als die GvHD im Januar 2012 so stark war, dass ich es nicht mehr aushielt, verschrieb mein Arzt mir eine hohe Cortisondosis. 50 Milligramm täglich, das war sehr viel. Er hoffte, das Cortison recht bald wieder herunterfahren zu können – vielleicht so in zwei bis drei Monaten. Der Cortison-Schub kann die Abstoßungsreaktion abmildern und kontrollieren.

Mir ging es sofort besser mit dieser Therapie. Meine GvHD zeigte sich ursprünglich in stark geschwollenen Mundschleimhäuten und in einem kräftigen Panzergefühl der Haut, insbesondere im Gesicht und am Oberkörper. Könnt Ihr Euch das vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn der Mund nicht nur innen, wie nach einer Zahn-OP, sondern auch die Wangen außen und die ganze Haut im Gesicht, Nacken und an den Schultern bei jeder Bewegung spannt, als wäre die Haut zu klein für jede Muskelzuckung?
Ich konnte damals kaum in Worte fassen, wie merkwürdig und gleichzeitig unangenehm sich das anfühlte. Ein ehemals betroffener Patient erzählte mir, er hätte diese Erscheinung die „Tauchermaske“ genannt. Da wusste dann jeder, was gemeint war. Mein  Blick in den Spiegel damals vergrößerte mein Unbehagen noch. Ich hatte flache, braune Pigmentflecken im Gesicht und sah auch am Oberkörper und auf den Armen aus wie ein Streuselkuchen.

Dass so etwas Angst macht, könnt Ihr Euch sicher vorstellen. Deshalb war es wie ein Segen für mich, dass diese kleine Tablette Cortison, Prednisolon mit Handelsnamen, mir sofort Linderung vermittelte. Die Haut fühlte sich noch geschwollen an, aber sie spannte nicht mehr so stark. Auch die Mundschleimhaut reagiert auf die Medikation und ich konnte bald, nach einer Woche, wieder besser essen.

Cortison und seine Wirkung

Das Cortison begleitet mich seit diesen Tagen. Durch die hohe Dosis bekam ich ein aufgedunsenes, rundes Gesicht – das Erscheinungsbild wurde also zunächst noch verstärkt. Aber es fühlte sich nicht mehr so schlimm an. 2013 konnte ich die Dosis auf 20 Milligramm herunterfahren. Ende 2014 auf 10 mg. Über einen Monat lang habe ich die 10 mg Tabletten mit der 20 mg Form verwechselt, ohne es zu merken. Ui, da ging es mir richtig gut. So fit und aufgeputscht habe ich mich lange nicht gefühlt!

Gefeiert habe ich den Tag, an dem ich von 10 auf 7,5 mg herunterkonnte – dies ist die sogenannte Cushing-Schwelle. Ich nahm von diesem Tag an nicht mehr Cortison zu mir, als mein Körper sowieso täglich produzierte.

Wenn ich zu schnell reduzierte, bekam ich erneute GvHD – Symptome. Wenn ich reduzierte und gleichzeitig einen Infekt hatte, eine Erkältung, eine Grippe oder Fieber, dann verstärkten sich alle Anzeichen zusammen – die GvHD und das Fieber gingen hoch.

Ich bin in all den Jahren sehr vorsichtig mit der Cortison Reduktion umgegangen – wohlwissend, dass diese Dauermedikation nicht gut für meinen Körper ist. Mein Cortison führte dazu, dass ich wieder Haare verlor und dass meine Knochendichte sank. Vermutlich hat auch der eine oder andere Zahn unter dem Medikament gelitten.

Ich habe mir ein Schema zurechtgebastelt wie ich reduziere. Zunächst im 4 Wochen Rhythmus eine Stufe herunter – von 15 auf 10 mg, dann von 10 auf 7,5, nachfolgend in 2,5 mg Schritten. Danach, bei niedrigeren Dosierungen ging ich langsamer vorwärts Im Jahr 2017 hatte ich 5 mg erreicht, von da an ging es in 1 mg Schritten vorwärts. Meistens in Schritten über mehrere Monate.

Cortison Absetzen in kleinen Schritten
Eine Viertel-Tablette Prednisolon

Seit 2020 nahm ich nur noch 0,25 mg. Ja, Du lachst. Es war nur noch ein Viertel einer 1-Milligramm Tablette, ein winziger Krümel! Jeden Tag nahm ich sie mit Ehrfurcht, in Gedenken an die lange Zeit, die mich dieser Wirkstoff nun schon begleitete. Seit Januar nahm ich meinen Krümel nur noch jeden zweiten Tag. Gespürt habe ich außer trockenen Augen am Ende eines Tages nichts.

Geschafft!

Danke, mein lieber Arzt in der Uniklinik, dass Du mir am Donnerstag den Schubs gegeben hast. „Lassen Sie den Krümel weg, Frau Mertens!“ Er grinste dabei. In den vielen Jahren, in denen er mich betreut hat, war die Cortison-Reduktion zu einem Dauerthema zwischen uns geworden. Seiner Meinung nach reduzierte ich zu langsam. Ich behauptete aber felsenfest, meinen Körper besser zu kennen.

Heute bin ich froh, dass ich die Schachtel Prednisolon nun in den Medikamentenschrank im Keller  verbannen kann. Auf Nimmer Wiedersehen.

Absetzen von Cortison - geschafft
Ich freue mich…

Und ich feiere meinen Neubeginn. Ohne Cortison und ohne meine extreme GvHD. Manchmal spielt das Leben auch einfach mit. Und es folgt dem Plan der Mediziner: Ich kann wieder ohne Cortison und ohne meinen Hautpanzer leben. Schön, nicht wahr? Hast Du auch schon mal etwas Medizinisches erreicht, wofür Du lange gebraucht hast? Ein Ziel, welches Dir alles abverlangt hat? Dann schreibe es mir doch in den Kommentaren! Ich feiere dann mit Dir!

15 Kommentare zu „Cortison absetzen – von 50 mg auf Null in neun Jahren“

  1. Jutta Mersch-Müller

    Liebe Anette,
    Das freut mich sehr für dich!!!
    Es ist richtig, dass du langsam reduziert hast! Viele Rückschläge tun niemand gut und ich bin überzeugt, dass viele Menschen den eigenen Körper sehr gut kennen und seine Reaktionen am besten einschätzen können.
    LG Jutta

    1. Liebe Jutta, vielen Dank fürs Lesen und für Deinen Kommentar! Du kannst das bestimmt gut einschätzen, was es heißt, ein Medikament über mehrere Jahre zu nehmen. Mein Arzt und ich hatten immer Gesprächsstoff bzgl. Cortison und dessen Dosierung :-). Liebe Grüße, Annette

    1. Liebe Beate, vielen Dank für Deine Wünsche! Ja, jetzt ohne Cortison fühle ich, dass es noch schneller aufwärts geht! Viele Grüße Annette

  2. Liebe Netti

    ja Glückwunsch zu allem was Du zur Zeit angehst. Ich habe das Gefühl, Du hast Deine echte Bestimmung gefunden. Wahrscheinlich hättest Du viel früher diesen kreativen Weg einschlagen sollen, es ist Dein Ding. Aber es ist ja nie zu spät und deshalb wünsche ich Dir von Herzen weiterhin viel Spaß, Glück und Erfolg. Langeweile wird es so wohl nie geben. Und da ist ja auch noch der süße schwarz-weiße Vierbeiner, der auf keinen Fall zu kurz kommen darf.
    Weiter so, ich bin schon sehr gespannt auf den Expertenblog, bei Dir hole ich mir gerne Infos.
    Liebe Grüße
    Elly

    1. Liebe Elly, vielen herzlichen Dank für deinen tollen Kommentar. Ich freue mich auch immer über Leser, die ja nicht direkt (und hoffentlich auch nie) zu den betroffenen Patienten gehören. Und zu meinem Vierbeiner schreibe ich demnächst an dieser Stelle auch mal wieder etwas :-) … Liebe Grüße, Annette

  3. Liebe Anette,
    das ist ein schöner Beitrag. Ich freue mich sehr für dich.
    Wir selbst kennen unsere Körper am besten und so weiß ich dass es gut war wie du auf deinen gehört hast. Ich wünsche dir alles Gute weiterhin.
    Liebe Grüße Rose

    1. Liebe Rose,
      ja, das stimmt, und ich war wirklich jahrelang sehr beharrlich, nur auf mich und meinen Körper zu hören, zumindest was die Reduktion des Cortisons betrifft. Letzten Endes hat es ja dann gut geklappt :-) . Vielen Dank für Deinen Kommentar, liebe Grüße, Annette

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  7. Ich bin aktuell auch beim absetzen bzw ausschleichen, meine größte sorge dabei ist einfach, das meine nebennieren nicht wieder anspringen und ich ein leben lang auf cortison angewiesen bin

    1. Hallo Jens, vielen Dank für deinen KOmmentar. Wie lange hast du denn Cortison genommen?
      Ich denke, es kann nach langjähriger Therapie ein wenig dauern, bis die Nebennieren wieder arbeiten, aber es ist extrem selten, dass sie gar nicht mehr anspringen. Meine Erfahrung nach 9 Jahren Cortison war, dass dies kein Problem war, wenn man es langsam ausschleicht. Ich wünsche Dir alles Gute dabei, es wird bestimmt gut gehen! herzlichen Gruß, Annette

      1. Insgesamt nun 31 tage.
        eigentlich sollten es nur 7 tage werden..
        31 sind es geworden, da ich aufgrund unwissenheit die ersten 5 tage die tabletten abends genommen und dann beim runterdosieren statt 4x5mg wie verschrieben (also 20mg), die tabletten des darmkranken hundes erwischt hab, und daher 4x50mg genommen habe und damit 200mg, also die dosis, mit der ich initial angefangen habe.
        damit bin ich dann zu hausarzt, der die hände über den kopf geschlagen hat, da ich alles falsch gemacht habe was man nur falsch machen kann und mich mit meinem plan und strickter anweisung mich exakt dran zu halten wieder auf 25mg und von dort aus im 2 tage rythmus um 5 reduziert, bis auf 10mg, ab dann alle 3 tage um 2,5mg. er sagte, mit diesem vorgehen, habe er keine sorge das was „schief laufen“ könnte
        seit einer woche bin ich nun vom prednisolon weg und mit jedem tag ohne , komme ich schwerer aus dem bett, fühle mich wie aus narkose erwachend und habe kaum energie.

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